Erste Forschungsbohrung im Rahmen des Masterplans Geothermie weist tiefengeothermisches Reservoir in Nordrhein-Westfalen nach

Bohr-Team vor dem Bohrturm bei der Forschungsbohrung Krefeld des GD NRW
© GD NRW

Auf der Suche nach einer tiefengeothermischen Wärmequelle hat sich in Krefeld ein Bohrmeißel 73 Tage und Nächte lang ununterbrochen in den Untergrund vorgearbeitet. Die Erkenntnisse aus der insgesamt 957 Meter tiefen Bohrung sind äußerst vielversprechend. Während die Bohrkerne der mehr als 340 Mio. Jahre alten Kalksteine noch ausgewertet werden, ist schon jetzt klar: Der Kalkstein ist viel mächtiger als bisher angenommen und es existieren in großer Tiefe wassererfüllte Spalten und Hohlräume, aus denen warmes Tiefenwasser gefördert werden kann!

Im Fokus der Krefelder Tiefbohrung stand der Kohlenkalk, eine Kalkstein-Formation der Karbon-Zeit. Nach monatelanger Vorbereitung hatten die Bohrarbeiten Mitte März hinter einer 10 Meter hohen Lärmschutzwand begonnen. Vier Wochen später war es dann soweit: Der Kohlenkalk wurde in 380 Metern Tiefe erreicht und in den darauffolgenden Wochen komplett durchbohrt. Das Team um Dr. Stephan Becker, wissenschaftlicher Leiter der Forschungsbohrung, hatte den Kalkstein in etwa 400 Metern Tiefe vermutet. „Unsere Prognose stimmte zunächst gut mit den tatsächlichen Untergrundverhältnissen überein“, betont Becker. „Was seine Basis betrifft, wurden wir jedoch überrascht.“ Erst in einer Tiefe von 944 Metern – postuliert waren 725 Meter – war es schließlich geschafft und die über 363 Mio. Jahre alten Sandsteine der Oberdevon-Zeit, die die Unterkante des Kalksteins markieren, waren erreicht.

Die erbohrten Gesteinsproben und die durchgeführten Tests im Bohrloch liefern nun wegweisende Erkenntnisse für eine zukünftige klimafreundliche Wärmeversorgung mittels Erdwärme in der Region. Im Verlauf der Bohrung wurden im Kalkstein wiederholt große Bereiche mit deutlichen Wasserdurchlässigkeiten angetroffen: Aus Spalten und Karsthohlräumen im Gestein floss von alleine Tiefenwasser in die Bohrung. Der anschließend durchgeführte hydraulische Test ergab, dass viel mehr Wasser aus dem Bohrloch an die Oberfläche gefördert werden konnte als erwartet! Das sind Bedingungen, die für tiefe Geothermieprojekte notwendig sind und die den Kalkstein so interessant machen.

Wirtschafts- und Klimaministerin Mona Neubaur betont: „Erdwärme ist ein echter Gewinn für unseren Alltag: Sie liefert zuverlässig Wärme für unsere Häuser – ganz ohne Abgase, bei jedem Wetter und rund um die Uhr. Die erfolgreiche Bohrung in Krefeld zeigt, dass tief unter unseren Füßen ein riesiges Potenzial schlummert, das wir für Heizungen in Wohnhäusern, Schulen oder Schwimmbädern nutzen können. Das bringt uns der Wärmewende einen großen Schritt näher – und macht unabhängiger von Öl und Gas. Jetzt heißt es: Dieses Wissen in die Städte und Gemeinden bringen, damit Erdwärme bald für viele Menschen spürbar wird – ganz konkret in ihrer Wohnung, auf der Energierechnung und für unser Klima.“

Dr. Ulrich Pahlke, Direktor des Geologischen Dienstes NRW, ergänzt: „Unsere Aufgabe ist es, fundierte geowissenschaftliche Daten bereitzustellen, damit Kommunen tragfähige Entscheidungen für ihre Wärmeplanung treffen können. Daher werden wir im Rahmen des Explorations- und Bohrprogramms NRW auch in anderen Regionen weitere Forschungsbohrungen durchführen.“ Wie vom Geologischen Dienst NRW mitgeteilt wird, ist die nächste tiefe Forschungsbohrung bereits für Anfang 2026 in Köln-Dellbrück geplant.

Beitrag zur Wärmewende in NRW

Die Bohrung ist Bestandteil des landesweiten Explorations- und Bohrprogramms „Geowärme – Wir erkunden NRW.“ Dieses wird im Rahmen des Masterplans Geothermie NRW umgesetzt, der 2024 vom Ministerium für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen veröffentlicht wurde. Mit der Durchführung wurde der GD NRW betraut. Ziel des Programms ist es, die tief liegenden Wärmevorkommen in Nordrhein-Westfalen zu erkunden, um bis 2045 rund 20 Prozent des Wärmebedarfs durch klimafreundliche Geothermie zu decken. Ergänzt wird das Vorhaben durch weitere Maßnahmen, wie etwa die finanzielle Förderung kommunaler Machbarkeitsstudien und Bohrungen sowie eine Risikoabsicherung für hydrothermale Geothermieprojekte.

Von der Erdgeschichte zur Energiezukunft

Die insgesamt knapp 667 Meter Bohrkerne, die aus dem Bohrloch an die Oberfläche gezogen wurden, dokumentieren eine Zeitreise durch über 363 Mio. Jahre Erdgeschichte. Projektleiter Ingo Schäfer erläutert: „Sie verraten uns viel über den Kohlenkalk, seine Reservoireigenschaften und die geologischen Prozesse seiner Entstehung. Die neuen Erkenntnisse sind auf die gesamte Region übertragbar – und genau diese Informationen benötigen wir, um das Potenzial für eine sichere und nachhaltige Nutzung der tiefen Geothermie fachlich bewerten zu können.“ Entstanden ist der Kohlenkalk übrigens in einem flachen Schelfmeer aus dem Fossilschutt der damals dort lebenden Organismen – zu einer Zeit, als Nordrhein-Westfalen noch am Äquator lag.

Was geschieht mit dem Bohrplatz?

Wer in Deutschland Erdwärme aus über 400 Metern Tiefe erkunden und gewinnen möchte, benötigt hierfür eine entsprechende Bergbauberechtigung. Ausgenommen davon sind Bohrungen im Rahmen der geowissenschaftlichen Landesaufnahme, wie sie der GD NRW in Krefeld durchgeführt hat. Die temporäre Forschungsbohrung erfüllt dabei nicht die technischen und rechtlichen Anforderungen einer dauerhaften Produktionsbohrung. Daher wird das Bohrloch vorschriftsmäßig wieder verfüllt und der Bohrplatz vollständig zurückgebaut. Der Parkplatz steht danach wieder uneingeschränkt zur Verfügung.

Großes Interesse an Informationsangeboten

Das Informationsangebot rund um die Forschungsbohrung stieß auf äußerst positive Resonanz: Regelmäßige Führungen vor Ort sowie der Info-Container wurden von vielen Bürgerinnen und Bürgern aller Altersgruppen mit großem Interesse angenommen. Ein Besuch der nordrhein-westfälischen Wirtschaftsministerin Mona Neubaur am Bohrplatz unterstreicht die Relevanz des Projektes. „Das große öffentliche und mediale Interesse an unserer Bohrung hat uns sehr gefreut. Es zeigt, wie stark die Themen Geothermie und nachhaltige Wärmeversorgung in der Gesellschaft angekommen sind – und wie wichtig transparente Information und Dialog sind“, so Schäfer.

Umfassende Informationen zum Projekt stellt der GD NRW auf der Webseite www.geowaerme.nrw.de zur Verfügung. Ergänzend liefern die Social-Media-Kanäle unter @geowaermenrw fortlaufend Hintergrundberichte, aktuelle Entwicklungen und Einblicke in die Projekte.

Hintergrundwissen: Hydrothermale Geothermie

Die hydrothermale Geothermie nutzt heißes Tiefenwasser, das durch eine Förderbohrung an die Oberfläche gepumpt wird. Dort überträgt es seine Wärme mittels Wärmetauschern beispielsweise an ein Fernwärmenetz, Industriebetriebe oder Gewächshäuser. Das abgekühlte Wasser wird im Anschluss über eine zweite Bohrung vollständig in den ursprünglichen Entnahmehorizont zurückgeführt. Der entscheidende Vorteil: Die lokale Wärme aus der Tiefe steht ganzjährig, witterungsunabhängig und rund um die Uhr zur Verfügung. Sie ist nicht nur preisstabil, sondern auch klimafreundlich und trägt zur Unabhängigkeit von fossilen Energieimporten bei.